Branche | anderes |
Geschlecht | Frau |
Stichwörter | Diskriminierung; Lohngleichheit; Mutterschaft |
Rechtsgrundlage | Art. 8 Bundesverfassung |
Anstellung | |
Entscheide | 2 Entscheide (2019-2020) |
Stand | rechtskräftig |
23.09.2019 | Das Sozialversicherungsgericht weist die Beschwerde ab |
22.06.2020 | Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab |
Kurzzusammenfassung
Eine selbständig erwerbende Rechtsanwältin beantragt bei ihrer Ausgleichskasse nach der Geburt ihrer Tochter eine Mutterschaftsentschädigung sowie eine Betriebszulage. Die Ausgleichskasse ist der Auffassung, dass ihr aufgrund des Erwerbsersatzgesetzes (EOG) nur eine Mutterschaftsentschädigung, nicht aber eine Betriebszulage, zustehe. Da Militärdienstleistende aufgrund des EOG Anspruch auf eine Betriebszulage haben, fühlt sich die Rechtsanwältin als Mutter diskriminiert. Sie erhebt Beschwerde beim Sozialversicherungsgericht und anschliessend beim Bundesgericht. Beide Gerichte weisen die Beschwerden ab.
Eine selbständig erwerbende Rechtsanwältin wird im Februar 2018 Mutter einer Tochter. Im Juni 2018 beantragt sie bei ihrer Ausgleichskasse eine Mutterschaftsentschädigung sowie eine Betriebszulage. Die Ausgleichskasse richtet ihr zwar eine Mutterschaftsentschädigung in der Höhe des Maximalbetrages von CHF 19'208 (CHF 196 x 98) abzüglich AHV/IV/EO-Beiträge aus, nicht jedoch die beantragte Betriebszulage von CHF 67 pro Tag.
Die Rechtsanwältin fühlt sich aufgrund ihres Geschlechtes diskriminiert (Art. 8 Abs. 2 und 3 Bundesverfassung) und erhebt Einsprache bei der Ausgleichskasse. Im Erwerbsersatzgesetz (EOG) sei sowohl der Lohnersatz der Frauen bei Mutterschaft als auch jener von Militärdienstleistenden geregelt. Da Militärdienstleistende neben dem Lohnersatz auch Betriebszulagen beantragen könnten, sollte dies auch für Frauen bei Mutterschaft möglich sein. Selbständig erwerbende Mütter dürften nicht schlechter gestellt werden als Militärdienstleistende.
Die Ausgleichskasse hält jedoch an ihrem Entscheid fest, worauf die Rechtsanwältin Beschwerde beim Sozialversicherungsgericht erhebt.
Erwägungen
Das Sozialversicherungsgericht bestätigt den Entscheid der Ausgleichskasse. Selbständig erwerbende Frauen hätten gestützt auf das EOG im Gegensatz zu Militärdienstleistenden keinen Anspruch auf Betriebszulagen. Das Parlament habe im Jahr 2005 aus Finanzierungsgründen bewusst auf Betriebszulagen für selbständig erwerbende Mütter verzichtet.
Auch eine Verletzung der internationalen Übereinkommen wie der EMRK und CEDAW schliesst das Sozialversicherungsgericht aus.
Entscheid
Das Sozialversicherungsgericht weist die Beschwerde der Rechtsanwältin ab.
Die Rechtsanwältin hält an ihrem Standpunkt fest und zieht den Fall vor Bundesgericht.
Ziel des EOG sei es, den Militärdienstleistenden und den Müttern während ihrer Abwesenheit bei der Arbeit den Lohn angemessen zu ersetzen. So hätten sowohl Militärdienstleistende als auch Mütter Anspruch auf 80% ihres Einkommens. Damit auch Selbständigerwerbende in den vollen Genuss dieses Lohnersatzes kommen könnten, müsse diesen zusätzlich zum Lohnersatz eine Betriebszulage ausbezahlt werden. Denn anders als bei Angestellten würden bei Selbständigerwerbenden auch während der Erwerbspause Betriebskosten wie bspw. Raummieten anfallen. Die Ausrichtung von Betriebszulagen sei im EOG aber nur für Dienstleistende (in der Regel also für Männer) vorgesehen - nicht jedoch für selbständig erwerbende Mütter. Eine solche Ungleichbehandlung sei nicht zulässig. Obwohl Frauen und Männer den Erwerbsersatz gleichermassen finanzieren würden, bekämen selbständig erwerbende Mütter weniger Lohnersatz als selbständig erwerbende Dienstleistende. Diese Ungleichbehandlung von Müttern und Dienstleistenden verletzte auch die Diskriminierungsverbote der internationalen Übereinkommen (Art. 8 i.V.m. Art. 14 EMRK und Art. 11 i.V.m. Art. 13 CEDAW).
Erwägungen
Das Bundesgericht hält ebenfalls daran fest, dass es dem Willen des Gesetzgebers entspreche, bei Mutterschaft keine Betriebszulagen zu gewähren (Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Art. 16e Abs. 2 EOG). An diesen Willen sei das Bundesgericht gebunden. Eine abweichende Interpretation des Gesetzes sei nicht zulässig.
Ausserdem seien die Entschädigungsansprüche bei Mutterschaft und Militärdienst zwar im selben Gesetz geregelt, doch dürfe dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich dabei um zwei grundsätzlich verschiedenen versicherte Lebenssachverhalte handle (Dienst einerseits und Mutterschaft andererseits).
Erwerbsersatz bei Dienst könnten sowohl Männer als auch Frauen beantragen, doch bei Mutterschaft sei einzig die Frau dazu berechtigt. Bei der Mutterschaftsversicherung werde nicht auf die soziale Elternschaft und die damit verbundene Betreuungsaufgabe abgestellt, sondern einzig auf die biologische Mutterschaft. Männer seien deswegen noch nicht diskriminiert. Umgekehrt sei es aber auch nicht diskriminierend, wenn Frauen keine Betriebszulagen bei Mutterschaft erhielten. Aus denselben Gründen liege auch keine Verletzung der internationalen Übereinkommen vor.
Das Bundesgericht hält es nicht für nötig, zu prüfen, ob die Regelungen des Erwerbsersatzes mit dem Diskriminierungsverbot nach Art. 8 Abs. 3 Bundesverfassung vereinbar sind. Es sei Aufgabe der Politik, Regelungen zu schaffen, die eine ausreichende Mutterschaftsversicherung gewährleisten. So seien politische Bestrebungen auch bereits im Gange. Das Parlament habe im Dezember 2019 zwei Motionen angenommen, die Betriebszulagen für selbständig erwerbende Mütter fordern. Der Bundesrat sei nun damit beauftragt, die gesetzlichen Grundlagen dafür zu schaffen.
Entscheid
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab. Die Gerichtskosten von CHF 500 hat die Rechtsanwältin zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
Quelle
Bundesgerichtsentscheid 9C_737/2019 vom 22. Juni 2020
Medienmitteilung Bundesgericht
Bemerkungen
NZZ, Selbständige sind für die Dienstpflicht besser abgesichert als für die Mutterschaft - laut Bundesgericht ist das keine Geschlechterdiskriminierung, 15. Juli 2020
Tagesanzeiger, Schlechterbehandlung von Müttern ist zulässig, 15. Juli 2020
Informationen zur Mutterschaftsentschädigung